Zwei Wölfe in uns

Wie immer um diese Jahreszeit entzündete der Stamm ein heiliges Feuer um alles was ist, die AhnInnen und den großen Kreislauf des Lebens zu ehren.
Ein Kreislauf schließt sich und ein neuer beginnt.
Ein Zyklus geht zu Ende und bereiten den nahrhaften Boden für etwas Neues vor.
Das Feuer transformiert in diesen Tagen des absoluten Gleichgewichtes, das Alte und schenkt den Boden für das Neue, das sich aus der künftigen Dunkelheit gebiert.

„Wir lassen zu Ende gehen, was zu Ende gehen will und öffnen uns für die Kraft die alles durchfließt, sodass wir die reiche Ernte des Vergangenen als Humus für das Neue integrieren.
Wir sind bereit alles loszulassen, dessen Zeit zu Ende gegangen ist und mit weitem Herzen anzunehmen, was neu beginnt. Auch wenn wir noch nicht wissen was es ist, sind wir dankbar dafür.
Wir danken den Geschicken des Lebens, das so gut für uns sorgt und weiß was für unsere Entwicklung das Beste ist“, sagt der Älteste des Volkes in das leuchtende Herbstfeuer hinein.

In weiser Stillen, legten sie alle gedanklich ihre Herzen ins Feuer, sodass die Metamorphose in ihrem Sein beginnt und sich das absolute Gleichgewicht zwischen Vergangen um Zukünftigen in ihnen öffnet.

Ein kleiner Junge, der neben dem Ältesten saß brach die Stille und sagte:
„Großvater, ich sehe die Flammen so kraftvoll tanzen. Sie züngeln in die Dunkelheit hinein, als ob sie das Dunkle vertreiben wollten.«

„Mein Junge, die Flammen tanzen so wie unsere beiden Wölfe in uns tanzen“,
sagte der Großvater.

„Aber welche Wölfe meinst du?“, fragte der Enkel voll staunender Neugier.

„Nun, jeder von uns trägt zwei Wölfe in sich. Einer ist schwarz und einer ist weiß.
Der weiße Wolf lebt von Liebe, Zuversicht, Freude, Gelassenheit, Wahrheit, Vertrauen, Offenheit, Aufrichtigkeit, Güte, Mitgefühl, Respekt, Hoffnung, Dankbarkeit und Gerechtigkeit.
Dieser Wolf ist bedingungslos liebevoll, sanft und mitfühlend zu sich selbst und allen Wesen.“, erwiderte der Großvater.

„Und wovon lebt der schwarze Wolf?“

“ Der schwarze Wolf lebt von unseren Ängsten, von unserer Wut und unseren Sorgen, vom Vorwurf, von der Lüge, von Schuldzuweisung, Arroganz, Hasse, Eifersucht, Neid, Gier des Machtgefühls und der Eifersucht.
Er ist streitsüchtig, will immer recht und die Macht über uns selbst und über alle Wesen haben.

Wie die hellen und leichten Tage im Leben, ist der weiße Wolf und wie die dunklen und schweren Tagen im Leben, ist der schwarze Wolf.
Und so wie Du es betrachtet hast, dass die hellen Flammen sich ins Dunkle hineinkämpfen, so kämpft der schwarze Wolf oft mit dem weißen Wolf in unserem Herzen. Sie ringen miteinander.“

Der Enkel wurde ganz still und verlor seinen Blick in den Tanz der Flammen.

„Aber, welcher von den Beiden gewinnt, Großvater?“

„Es gewinnt der, den du fütterst!“

 

Der Großvater sah das Erkennen im Gesicht seines Enkels.
Er fühlte, dass er ihm noch eine weitere Erklärung mit auf dem Weg in die Lebens Tag und Nachtgleiche geben mag.

„Wenn du beginnst den schwarzen Wolf einfach zu ignorieren oder ihn an den Platz des Vergessens in dir abzuschieben, dann wird er hungrig und wild werden. Er wirst seine Hinterlist schärfen und den weißen Wolf auflauern, damit er weiter Recht und Macht haben kann.
Wenn du ihm aber zuhörst und ihn aufmerksam betrachtest ohne dich von ihm einlullen zu lassen, dann wird er friedlich.
Weißt du, mehr braucht es oft gar nicht, als ihm zuzuhören und mit ihm zu reden.
Dann wirst du merken, wie der schwarze Wolf ruhig wird und dir seine guten Eigenschaften zeigt wird. Denn auch er hat gute Eigenschaften, wie Ausdauer, Standhaftigkeit, Willensstärke und eine starke Intuition für das Dunkle.
Das wird auch dem weißen Wolf gefallen und er kann seine Eigenschaften wieder in Gleichgewicht mit dem dunklen Wolf leben.“

 

»Sorge für beide und dir wird es gut gehen.«